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Bericht zu den Projekttagen Inklusion an der KGS

Inklusion (er-)leben

 

Jeder ist anders und hat andere Stärken und Schwächen – unter diesem Motto stand der „Projekttag Inklusion“, der erstmalig vom 25. bis 27. September 2018 für alle 5. Klassen sowie die beiden 6. Hauptschulklassen an der KGS Schneverdingen unter der Leitung von Susan Bauermeister stattfand. An jeweils einem der Tage wurden im Rahmen eines Sozialtrainings mit den Klassenlehrern intensiv die Einzigartigkeiten und Andersartigkeiten eines jeden einzelnen Schülers herausgearbeitet, kurze Filme über Toleranz und Inklusion geschaut, Spiele gespielt und viel miteinander geredet. Höhepunkt war aber wohl der Besuch des 90-minütigen Projekts „Blindheit erleben“, das von zwei Mitarbeitern der Christoffel-Blindenmission (CBM) an der KGS angeboten wurde.
Jeweils 3 Klassen pro Tag berichteten Carolin Moch und Dirk Graf-Frömke von der Arbeit der CBM, die sich für Menschen mit Behinderungen in Entwicklungsländern einsetzt und zum Beispiel die Kosten für eine Operation am Grauen Star übernimmt. In einem Film über eine Familie in Uganda erfuhren die Schülerinnen und Schüler, dass die Menschen dort nicht selten weniger als einen Euro am Tag zur Verfügung haben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Selbst wenn eine Operation der Augen für Erwachsene nur 30 Euro, für Kinder wegen der Vollnarkose 120 Euro kostet, so sind diese Eingriffe dennoch für die meisten Menschen unbezahlbar.
Was es bedeutet, an der Augenkrankheit „Grauer Star“ zu leiden, spürten die Schülerinnen und Schüler am eigenen Leib, als sie von dem ebenfalls blinden Dirk Graf-Frömke die milchigen Simulationsbrillen überreicht bekamen. „Damit habt ihr nur noch ein Sehvermögen von 4-5 Prozent.“ Bestenfalls hell und dunkel ließ sich dann noch unterscheiden und ein kurzer Hindernisparcours von nur knapp 8 Metern wurde zur besonderen Herausforderung. Der blinde Bremer erklärte den Schülern zuvor den Umgang mit dem Taststock, der auf Höhe des Bauchnabels gehalten wird. „Rechtes Bein nach vorn, der Stock pendelt nach links.“ Diese Bewegung dient nicht nur dazu, Hindernisse rechtzeitig zu erkennen, sondern gleicht die Pendelbewegung, die jeder sehende Mensch beim Gehen mit den Armen macht, ein wenig aus. „Blinde Menschen sind nicht in der Lage auf einer geraden Linie zu laufen. Ohne diese Pendelbewegung des Stockes, müssten wir den ganzen Tag im Kreis laufen – und das wäre ja auch doof.“ Stumm nickenden oder sich brav meldenden Schülern erklärte er: „Ihr müsst mit mir reden, ich sehe euch ja nicht.“ und lockerte so die Stimmung immer wieder auf.
Einzeln durfte nun jeder den Parcours fast blind durchlaufen, spürte unterschiedliche Bodenbeläge, tastete sich an einem Werbeaufsteller vorbei, duckte sich unter einem hängenden Element hindurch und versuchte an einem Stuhl und einer mit Stoff verhängten Wand vorbeizukommen. Nach der teils lustigen, teils sehr bedrückenden Selbsterfahrung wechselte die Schülergruppe mit ihren Mitschülern im parallelen Klassenraum, wo sie nun mit Schlafbrille ausgestattet unter der Anleitung von Carolin Moch blind „Mensch-ärgere-dich-nicht“ oder Domino spielen sollten. Auch ein Fühl- und ein Tast-Memory konnte ausprobiert und ein Spielzeug für Kleinkinder, bei dem unterschiedlich geformte Bausteine in entsprechende Löcher gesteckt werden sollen, blind gespielt werden.
Während die Schülerinnen und Schüler erfuhren, wie es sich anfühlte blind zu sein, döste ein pechschwarzer Labrador unter einem Tisch. „Herr Lasse“, der 3,5jährige Blindenführhund von Dirk Graf-Frömke hatte Pause, bis sein Herrchen ihm in der Fragerunde das Führgeschirr anlegte. „Jetzt darf er weder gestreichelt noch gelockt werden. Jetzt ist er im Dienst.“ erklärte der 54jährige Graf-Frömke und berichtete humorvoll und offen den neugierigen Schüler von seiner Erblindung und seinem Alltag. Als Baby sei er sehr ungeduldig gewesen und ist deshalb wohl viel zu früh, nämlich schon mit 6 Monaten, auf die Welt gekommen. Im Inkubator wurde ihm  dann vermutlich zu viel Sauerstoff verabreicht, was seine Augen nachhaltig geschädigt hat. Jahrelang war er sehr stark kurzsichtig und las „mit der Nase“ auf dem Papier. Es folgten Netzhautablösung, ein Tumor im linken Auge, grauer Star und mehrere Erkrankungen im rechten Auge. Am Ende musste das linke Auge entfernt werden, während sich das recht selbst zerstörte und 25 mal operiert werden musste. „Ich hatte ständig sehr starke Schmerzen und musste Morphium nehmen. Deshalb habe ich mich entschieden, mein rechtes Auge auch entfernen zu lassen. Jetzt habe ich zwei wunderschöne Glasaugen. Das hat den Vorteil, dass ich mir jedes Jahr eine neue Augenfarbe aussuchen kann.“
Graf-Frömke erzählt offen und ehrlich aus seinem Leben, seinem Alltag und seinen Hobbys. Mit seinem Ehemann ist er seit 25 Jahren zusammen und seit 10 Jahren verheiratet. Sie haben sich kennengelernt, als er völlig erblindete, weshalb seine Beeinträchtigung für beide nie ein Thema war. Während sein Mann tagsüber in der Apotheke arbeitet, kümmert sich der gebürtige Franke um den Haushalt, die Einkäufe und geht täglich über 20km mit „Herrn Lasse“ spazieren. Die moderne Technik erleichtert ihm vieles. Kleine Aufkleber mit eingebauten Mikrochips, die individuell besprochen und mit Hilfe eines speziellen Stiftes vorgelesen werden können, dienen zum Beispiel zum Markieren von Gewürzgläsern oder CDs. Mit der Handy-App „Be my eyes“ können blinde Menschen einen registrierten sehenden Mitbürger per Videoanruf um Hilfe bitten, etwa ob das T-Shirt, dass sie anziehen möchten, eigentlich rot oder blau ist. Kinofilme kann man sich ebenfalls per App erklären lassen und so genauso miterleben, wie jeder andere im Kinosaal auch. Immer wieder fragen verblüffte Schüler, wie er denn die Uhr lesen könne, die er am Handgelenk trägt. „Bei mir spricht alles“, erklärt der blinde CBM-Mitarbeiter und lässt seine Armbanduhr die Zeit vorlesen. „Nur bei der Waage zu Hause habe ich den Ton abgestellt“, fügt er grinsend hinzu. Ob Bücher lesen, ins Kino gehen, Tandem durch die Türkei fahren oder Fallschirmspringen und die Welt bereisen – auch als blinder Mensch kann man viel erleben, auch wenn er leider oft unangemessene Reaktionen erhält. So wurde er schon gefragt, ob er Wünschelrutengänger sei, wenn er mit dem Taststock unterwegs ist oder ob der Hund ihn ziehen müsse. „Manchmal gehen Menschen einfach weg, obwohl sie sich gerade mit mir unterhalten. Ich rede dann natürlich weiter und merke erst viel später, dass mein Gegenüber gar nicht mehr da ist. Sowas ist natürlich blöd.“
Nachdem die Schülerinnen und Schüler alle ihre Fragen gestellt hatten, erklärte Carolin Moch wie die Braille-Blindenschrift aufgebaut ist und wie sie gelesen und geschrieben wird. Dann durfte jeder einmal ausprobieren seinen Namen in Braille zu schreiben und sich Dirk Graf-Frömke damit vorstellen. Die Aufgabe klang zunächst einfach, entpuppte sich allerdings als weitere Herausforderung, denn die Punkte musste rückwärts und spiegelverkehrt durch das Papier gepiekst werden, damit er sie anschließend richtig herum lesen konnte. Eine Schülergruppe hatte sogar die Ehre, den ewig dösenden Herrn Lasse bei der Arbeit zu erleben und begleitete ihn und sein Herrchen zum Abschluss bis an die Straße. Der treue Hund zeigte jede Tür zuverlässig an, wartete an Treppenstufen und Bordsteinkanten. „Leider habt ihr hier keine Fußgängerampel direkt vor der Schule, sonst hätte euch Herr Lasse zeigen können, dass er auch den Taster an einer Fußgängerampel drücken kann.“ Mit diesen Worten entließ Dirk Graf-Frömke die beeindruckten Schüler in die Pause und auch Herr Lasse durfte nun ein paar Minuten einfach nur Hund sein und herumtollen.

Autor: Koordination Inklusion

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